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"Es gibt viele Menschen, die mit meinen Büchern nichts anfangen können. Das wundert mich nicht. Denn die Menschen leben heute in einem inneren Durcheinander und sehen auch die Gegenstände der Aussenwelt, auch die anderen Menschen, mit diesem inneren Durcheinander, es wird alles von vornherein als Teil dieses Durcheinanders gesehen, es gibt darum auch nichts neues für sie, alles haben sie ja schon vorher, die Dynamik des inneren Durcheinanders ist so gross, das alles, was vor einen solchen Menschen gestellt wird, nur wie irgendeine zufällige Variation dieses Durcheinanders erscheint. Darum ist einem solchen Menschen auch alles langweilig, er hat ja alles schon: im Durcheinander.

 

Eine Begegnung zwischen der Innenwelt und der Aussenwelt findet gar nicht mehr statt, es ist alles schon vor der Begegnung erledigt. Es sollte doch eigentlich ein Ereignis sein, wenn die Innenwelt einem Gegenstand der Aussenwelt begegnet, - das alles ist heute nicht mehr. Der Mensch heute sieht überhaupt einen einzelnen Gegenstand gar nicht mehr für sich, abgegrenzt, als einen besonderen, so dass es wirklich ein Ereignis ist, ihm zu begegnen. Er sieht alles aufgelöst, einen Gegenstand in tausenderlei Beziehungen verwickelt, und er betrachtet ihn nicht einmal als Gegenstand, sondern nur als eine Gelegenheit, um zu tausend neuen Beziehungen und Verwicklungen zu gelangen.

 

Ich habe nun immer in meinen Büchern versucht, die einzelnen Gegenstände und Phänomene aus den tausenderlei Beziehungen zu lösen, einen Gegenstand deutlich für sich sichtbar zu machen, so dass der Mensch wieder eine Begegnung mit der Welt haben kann, wie sie ist: nämlich deutlich getrennt einen Gegenstand von anderen. Abgelöst von den unnützen Beziehungen steht jeder Gegenstand wieder so da, als wäre er eben erst geschaffen worden, und er steht da als Bild, das heisst: er weist als Bild auf einen Sinn hin, der hinter ihm ist, auf das Urbild. Der Mensch muss wieder lernen, einen Gegenstand als Bild und das Bild selber als Manifestation des Urbildes zu sehen."

18.8.1946

 

 

 

"Ich vergesse alles, was ich geschrieben habe, weiss kein Wort aus meinen Büchern. Manchmal wenn ich etwas von mir bei einem anderen Schriftsteller zitiert finde und es lese, sage ich zu mir: das ist gut, sehr gut, das möchte ich geschrieben haben und erst am Schluss merke ich, dass es von mir ist, aber erst wenn ich meinen Namen bei dem zitierten Passus lese. Es ist ja gut so, dass es bei mir so ist. Auf diese Weise schreibe ich immer wie zum ersten Mal."

                                                                                                                             4.6.1964

 

 

"Ich habe unten an meinem Wald einen schmalen Weg machen lassen, der in Kurven durch den Wald geht und in dem auf die schönste Weise das Suchende eines Weges noch ist. Die heutigen Strassen wissen im voraus, wohin sie gehen, gehen müssen."

                                                                                                                                  9.10.1959

 

 

 

"Das Schönste und Wahrste trifft einen immer über das hinaus, was man selber weiss, es ist ein Licht, das ein Anderer in einem anzündet und das er vergessen hat, auszulöschen, ein seltsames Licht, das keinen Schatten hat, nur noch mehr Licht, wo beim Gewöhnlichen der Schatten ist."

                                                                                                                                  22.11.1959

 

 

 

"Es kommt bei einem Menschen nicht auf die Kraft des Geistes an, nicht einmal auf die Kraft seiner Liebe, sondern darauf, dass durch ihn an ihm, das Geheimnis der Schöpfung als Geheimnis sichtbar wird, in welches Geheimnis der Mensch dann hineingesogen wird, verschwindet, aber Dasein und Verschwinden sind hier eines."

                                                                                                                                  14.6.1965

 

 

 

"Wenn man einen Menschen gern hat, gibt es keine Ungeduld und keine Geduld, beides ist Eines, eine Einheit, weil es dann keine Zeit gibt. Man ist zu jeder Zeit bei dem Menschen, den man gern hat, und besitzt auch alles, was er einem schenken will, schon vorher, schon bevor er es einem schenkt."

                                                                                                                                  7.1.1962

 

 

 

"Ich habe einen sehr schönen Brief vom Rektor der Universität K. bekommen, den ich nicht getröstet habe, dass sein Sohn gestorben ist, sondern ihm gesagt:  Kein Mensch ist je gestorben, Tod gibt es nicht im allgemeinen, nur der geliebte Mensch ist gestorben, nur das ist der Tod, der eine Tod, der zum ersten Mal da ist: der Tod des geliebten Menschen. Gerade das hat ihn getröstet, die Wahrheit."

                                                                                                                                  26.11.1960

 

 

 

"Gestern war ich in einer Kubin-Ausstellung. Die auseinandergefallenen Menschen und Dinge, ihre Stücke, treffen sich hier bei diesem Maler Kubin, und indem sie sich treffen, erschrecken sie voreinander. Es ist ein Gespenster-Erschrecken, aber das Gespenster-Erschrecken wird gemildert dadurch, dass ein menschliches Auge darauf schaut, eben das  des Malers. Es ist eine Zwischenwelt zwischen Mensch und Gespenst, ins Dunkle und zugleich ins Helle führend, beides miteinander vermischt."

                                                                                                                                  16.7.1964

 

 

 

"Jedes wirkliche Gedicht hat ein "Mehr", das heisst, das Wort ist nur ein Zeichen, das auf ein Höheres hinweist. Dieses "Mehr" macht, dass ein Gedicht lebendig ist nicht nur für die Epoche, in der es geschaffen worden ist, sondern dass das Gedicht verwandelt wird für jede Epoche, es wird immer genährt vom "Mehr". Es wird auch verwandelt für den Menschen, der durch ein grosses Leid oder eine grosse Liebe selber eine Beziehung hat zum "Mehr", dass die grosse Liebe oder das grosse Leid (auch die grosse Freude) selber nur Zeichen sind des "Mehr"; und "Mehr" des Gedichtes und "Mehr" der Person treffen dann durch das Gedicht aufeinander und verstehen sich." (Über ein Gedicht von Hölderlin)

                                                                                                                                  16.4.1964

Die Freunde von Max Picard

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